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Das „Second Victim“-Phänomen – Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen


In der modernen Medizin gilt die Maxime „Primum non nocere“ – zuerst nicht schaden. Doch trotz höchster Professionalität und Sicherheitsstandards bleiben Fehler, Komplikationen und tragische Ereignisse Teil des klinischen Alltags. Während der Fokus traditionell auf den betroffenen Patientinnen und Patienten liegt, gerät zunehmend eine andere Gruppe in den Blick: die sogenannten Second Victims – Ärztinnen, Pfleger, Therapeutinnen oder Rettungskräfte, die durch solche Ereignisse selbst zu Leidtragenden werden.


Der Begriff wurde im Jahr 2000 von Albert Wu geprägt und beschreibt die emotionale Erschütterung, die medizinisches Personal nach einem unerwarteten Zwischenfall erlebt. Schuldgefühle, Scham, Angst vor Sanktionen und der Verlust des beruflichen Selbstwerts sind häufige Reaktionen. Besonders belastend ist die Diskrepanz zwischen dem Ideal, Leben zu retten, und dem Erleben, Schaden verursacht zu haben. Diese innere Zerrissenheit kann zu Depressionen, Schlafstörungen, Burnout oder gar Suizid führen.


Das Second Victim-Phänomen offenbart auch strukturelle Defizite im Gesundheitssystem: Eine Kultur der Schuldzuweisung und des Schweigens verhindert, dass offen über Fehler gesprochen wird. Notwendig ist daher eine „Just Culture“, die Verantwortung differenziert betrachtet und Unterstützung statt Bestrafung in den Vordergrund stellt. Peer-Support-Programme und psychologische Nachsorge sind wirksame Wege, um Betroffene zu stabilisieren und langfristig in ihrem Beruf zu halten.


Letztlich erinnert das Konzept der Second Victims daran, dass auch Helfende verletzlich sind. Eine humane Medizin muss nicht nur Patienten schützen, sondern auch diejenigen, die täglich Verantwortung für andere übernehmen. Erst wenn Institutionen Fürsorge und Transparenz leben, entsteht eine echte Sicherheitskultur – für beide Opfergruppen gleichermaßen.

 
 
 

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